Pockenepidemie

Aus Atterwiki
Auszug Sterbebuch Seewalchen am Attersee, Jahr 1805, Ortschaft Baum
7.November, Anna Maria Voglhuber, Baum 4 (Bauer in Baum)
2. Dezember, Franz Aigner, Baum 6 (Wirtshaus in Baum)
19. Dezember, Jakob Aigner, Baum 6 (Wirtshaus in Baum)
Siehe Sterberegister Seewalchen

Die Pocken, auch Blattern genannt, ist eine hoch ansteckende epidemische Krankheit, der auch in der Region Attersee-Attergau zu Beginn des 19. Jahrhunderts viele Kinder zum Opfer fielen.

Pocken

Pocken, auch Blattern genannt, ist eine lebensbedrohende Infektionskrankheit, die von den Pockenviren verursacht wird. Typisch sind die Hautbläschen, die für den Namen Blattern verantwortlich sind. Pocken haben eine hohe Infektiosität, damit ist die Krankheit für den Menschen sehr gefährlich und wird schnell zu einer Epidemie. Durch eine konsequente Durchimpfung konnte die Krankheit letztlich besiegt werden.

Impfung

Die Pockenkrankheit kann nicht geheilt werden. Eine Impfung kann die Krankheit aber verhindern. Etwa seit 1800 gibt es eine erfolgreiche Impfung (die Kuhpockenimpfung, die der Engländer Edward Jenner entwickelte) gegen die Blattern. Da statt der bis dahin angewandten Inokulation (= Impfung mit abgeschwächten menschlichen Pocken) die ungefährlichere Form der Kuhpockenimpfung eingesetzt wurde, war die Impfbereitschaft - besonders der Wiener Bevölkerung - sehr groß und zeigte schnell Wirkung.

Das dicht besiedelte Wien blieb dadurch vier Jahre lang von der Epidemie verschont, sodass innerhalb von zwei Jahren nur fünf Kinder an Pocken starben, während es zuvor jährlich bis zu 500 Kinder waren. Weil danach die Impfbereitschaft wieder abnahm, reagierte die Behörde mit umfassenden Impfkampagnen. Die Impfung wurde schließlich bis zur Ausrottung der Pocken verpflichtend eingeführt. So wie es heute Impfgegner gegen eine Corona-Impfung gibt, gab es diese Impfgegner auch gegen die Pocken-Impfung. Durch diese Impfgegnerschaft sind noch viele Kinder, für die die Krankheit lebensbedrohlich war, gestorben.

Pockenepidemie um 1800 im Attergau

Als das Land in dieser Zeit ohnehin schon durch die Franzoseneinfälle betroffen war, gesellte sich auch noch diese Blattern-Epidemie dazu.

Der Pfarrer P. Werigand Rettensteiner, der 1803 in Seewalchen am Attersee eintraf, versuchte die Menschen mit Nachdruck von der Impfung zu überzeugen. Wenn man in seinem Leserbrief aus dem „Intelligenzblatt von Salzburg“ vom 4. Dezember 1802 lesen kann, war es Rettensteiner allerdings wichtig, dass er dies stets auf „überzeugende Privatbelehrungen“, weil er es „unschicklich“ und „zweckwidrig“ hielt, dies im Unterricht oder von der Kanzel herab zu verbreiten, so wie es so manche seiner Kollegen dieser Zeit machten.

Diese aufgeklärte Haltung spricht für den Benediktiner P. Werigand Rettensteiner, der offensichtlich ein ausgesprochen gebildeter Mann war. Er war Dichter und Virtuose und engster Freund des Musikers und Komponisten Michael Haydn, dem nicht minder begabten, aber weniger populären Bruder von Joseph Haydn.

Er selbst konnte bereits eigene Erfahrungen mit dem positiven Effekt der Pockenimpfung machen, war er doch von 1787 bis 1803 Pfarrer in der Salzburger Pfarre Lamprechtshausen. Dort setzte er eine Art „Impfkampagne“ in die Tat um:
Es gibt Aufzeichnungen Rettensteiners darüber, dass er von Haus zu Haus zog, um die Menschen zu überzeugen, was gar nicht so leicht war, da schon zu dieser Zeit „falsche Propheten und vorurtheilsvolle Hasser des Guten“ gegen die Impfung Stimmung machten. Nichtsdestotrotz schaffte er es in Lamprechtshausen, gemeinsam mit dem Chirurgen Franz Ritter und der Unterstützung des dortigen Pflegers, die gesamte Ortschaft durch Impfung zu immunisieren. Damit war Lamprechtshausen nach seinen Angaben „die erste Gemeinde im Lande, wo dieses Geschäft beendigt worden ist“ und wo keine Pockentoten mehr in den Jahren nach der Immunisierung zu finden sind.

Dass Rettensteiner ein großer Befürworter der Pockenimpfung war, ist ebenfalls unschwer in den Sterbebucheinträgen Seewalchens aus dem Jahr 1805 zu erkennen. Nach einer großen Impfaktion im Pfarrhaus im Jahr 1804, die wohl zu wenig angenommen wurde, obwohl bereits um 1800 aufgrund der Pocken 29 Kinder in der Pfarre ihr Leben ließen, wurden zwischen Juli und Dezember 1805 allein in Seewalchen 20 Blattern- Sterbefälle von ausschließlich ungeimpften Kindern bis zum Alter von 10 Jahre verzeichnet.

Jeder einzelne dieser Einträge wurde vom Pfarrer mit einer Anmerkung versehen, wonach diese Kinder verstorben waren, weil ihre Eltern die Schutzimpfung verweigert hatten. Diese Einträge lauten beispielsweise „aus Nachlässigkeit der Eltern gestorben, weil sie die angebotene Schutzimpfung nicht annahmen“, „wurde nicht zur Schutzimpfung gebracht und starb also aus Schuld der Eltern“, „ist auch die Schutzimpfung im vorigen Jahr nicht angewendet worden“ oder „ist wohl der nächste Nachbar am Pfarrhof, hat dennoch die Schutzimpfung vernachlässigt“.

Mögen seine Worte heute in unseren Ohren barsch und unbarmherzig klingen, so verständlich werden sie, wenn man die jahrelangen Versuche der Aufklärung der noch ungebildeten und damit unwissenden, ja teilweise sehr sturen Bevölkerung betrachtet, die oft auf taube Ohren stieß und die folglich weiterhin eine hohe Kindersterblichkeit mit sich brachte.

Der Großteil der Seewalchner Kinder war nach den Pockenepidemien 1800 und 1805 immun durch Genesung, doch nach fünf Jahren waren wieder genug Kinder nachgewachsen, die genügend Material für eine neue Epidemie boten, so wie der Medizinhistoriker Dr. Philipp Osten allgemein für diese Zeit feststellte.

Noch bevor Seewalchen, gemeinsam mit dem westlichen Attergau 1810 bis 1816 zu Bayern gehörte, führten die Bayern 1807 als weltweit erstes Land sehr erfolgreich die Pockenimpfpflicht ein. Währenddessen rollte aber in Seewalchen 1811 eine neue Pockenwelle heran. Auch dieses Mal ließen im ersten Halbjahr 18 Kinder ihr Leben. Einträge des Pfarrers über Impfverweigerung gab es nicht mehr, wohl da Werigand Rettensteiner 1810 Seewalchen verließ, um als Ökonom ins Kloster Michaelbeuern im Flachgau zurückzukehren. Die bayerische Impfpflicht machte sich schließlich auch in Seewalchen bemerkbar: Zwischen 1811 und 1815 gab es keine Pockenfälle und dann nur noch vereinzelt 7 Pockenfälle, wovon wiederum zwei Sterbefälle 1817 mit dem Zusatz „ungeimpft“ beschrieben waren.

In den Nachbarpfarren gab es ähnlich traurige Rekorde. So starben im Vergleichszeitraum 1795-1805 in Schörfling am Attersee 72 Kinder, davon 56 nur im Jahr 1800. Im August und September starben dort mitunter 2 oder 3 Kinder täglich.

So auch in der Pfarre St. Georgen im Attergau: Im Vergleichszeitraum 1795-1805 starben dort sogar 99 Kinder. Die Pocken traten auch dort in Wellen auf. Nach einer ersten großen Welle von März bis August 1800 mit 38 Pockensterbefälle, starben von August 1805 bis November 1806 in dieser Pfarre 92 Kinder an Pocken. Traurigen Höhepunkt bildete die Jahreswende zwischen 1805 und 1806: Von November bis Jänner starben 40 Kinder, darunter 3 Kinder am Nikolaustag und 4 Kinder am Neujahrstag. Auch dort dürfte die Impfung zu wenig Anklang gefunden haben.

In der deutlich kleineren Pfarre Gampern wurden im Jahr 1805 ebenfalls 16 Pockensterbefälle verzeichnet.

Und heute - 200 Jahre später? Noch im 20. Jahrhundert forderten die Pocken weltweit rund 300 Millionen Tote. Nach Einführung der weltweiten Pockenimpfpflicht konnte die WHO erst 1979 die Ausrottung der Pocken bekannt geben, und dies ist einzig und allein der Triumph der internationalen Impfstrategie. Wie viel Leid und Elend, wie viele Tote hätten verhindert werden können, wenn die Menschheit der fortschrittlichen Medizin und Wissenschaft schon vor 200 Jahren mehr Vertrauen geschenkt hätte?

Quellen

  • Matriken der Pfarren (untersucht und zusammengestellt von Daniela Bauer, Wolfsegg)