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Nußdorfer Dorfleben 1860 – 1960
Einleitung
Nussdorf am Attersee war bis ins 20. Jahrhundert vom bäuerlichen Alltag geprägt. Die Beschaffung der fundamentalen Lebensgrundlagen nahm den größten Teil der Zeit und der Arbeitskraft in Anspruch. Die zum bescheidenen Leben nötigen Dinge wurden weitgehend im Ort selbst hergestellt. Die gegenseitige Abhängigkeit bewirkte einen gesellschaftlichen Zusammenhalt, der in Nachbarschaftshilfe, sowie in Brauchtum und Festen seinen Ausdruck fand.
Mit dem Beginn des Fremdenverkehrs im 19. Jahrhundert kam die Bevölkerung schon früh mit bis dahin Unbekanntem in Berührung und reagierte sehr aufgeschlossen. Im Tagebuch des Michl Wiesinger 1830 - 1895 steht vermerkt: „Welt Ausstellung in Wien war ich und der Gruber, Resch, Domibauer, Winterleittner in der Fronleichnams Wochen 1873“. Überregionaler Handel mit Produkten aus dem Dorf gehörte zur Normalität. Sägeholz wurde bis Wien und Budapest geflöst. Die Ursprünge einer heute noch bestehenden Gerberei am Nussdorfer Bach geht vermutlich bis ins 13. Jahrhundert zurück.
Bereits vor 1900 mieteten sich während der Sommermonate erholungssuchende „Sommerfrischler“ in die Bauernhäuser ein. Überwiegend gutsituierte Wiener Familien kamen mitsamt ihrem Bedienungspersonal nach Nussdorf. Darunter namhafte Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wirtschaft. Auf landwirtschaftlich minderwertig angesehenen Seeufergrundstücken wurden die ersten Ferienhäuser errichtet. Der kaiserliche Diplomat Eugen Freiherr von Ransonnet-Villez (* 1838 Wien, † 1926 Nußdorf am Attersee) war ein Pionier des örtlichen Fremdenverkehrs. Er war der Gründer des Union Yachtclub Attersee, des ältesten Segelclubs Österreichs, und Initiator zahlreicher Tourismuseinrichtungen. Der Ransonnet-Themenweg vermittelt einen Eindruck seines Wirkens.
Walter Großpointner, der mit seiner Frau Elisabeth das Gasthaus „Dorfstube“ in Nußdorf am Attersee betrieb, sammelte über Jahrzehnte alte Ansichten Fotografien und Texte aus Nussdorf und Umgebung. Sie erlauben einen Einblick in das dörfliche Leben in der Zeit von etwa 1860 bis 1960. Die Fotografien sind nach Themen und nach dem Alter geordnet und erläutert. So werden bei einigen Aufnahmen auch die Veränderungen im Lauf der Zeit deutlich.
Die Ansichten der Nußdorfer Häuser 1860 – 1960 und ihre Veränderungen sind in einem eigenen Artikel behandelt.
Die Dorfgemeinschaft
Die Nußdorfer „Herrenbauern“ schafften in die Früh die Arbeit an und gingen dann zum Bürgertag ins Wirtshaus, zum Bräu oder zum Fleischhacker. Das mag wohl im 19. Jahrhundert so gewesen sein. Insbesondere nach 1945 hat sich die Lage stark und schnell verändert. Die wenigen Dienstboten, die vom Krieg heimkamen orientierten sich neu und suchten ein besseres Leben als Arbeiter in den Industriebetrieben der Umgebung. Durch die Hochkonjunktur wurde die Arbeitskraft für Tätigkeiten in der Landwirtschaft nicht mehr leistbar. Der einzige Ausweg war die Anschaffung technischer Hilfsmittel und ein extrem hoher Arbeitseinsatz der Bauernfamilie. Der gute Holzpreis erleichterte die Finanzierung der kostspieligen Investitionen. Mit dem aufblühenden Tourismus, der in den 1970er Jahren seinen Höhepunkt erreichte, entstanden auf einigen Wiesen und Feldern am Seeufer große Campingplätze. Fremdenzimmer und Ferienwohnungen kamen in fast jedes, dafür geeigneten Haus. Heute, im Jahr 2010, gibt es kaum mehr bewirtschaftete Bauerhöfe im Dorfgebiet von Nußdorf. Viele Gründe sind verpachtet oder wurden als Bauland für Ferienhäuser verkauft. Ein Golfplatz ist zwischen Nußdorf und Attersee entstanden. Die Besitzer der stattlichen Höfe verdienen sich ihren Lebensunterhalt anderwärtig. Trotzdem ist ein gewisser gesellschaftlicher Zusammenhalt geblieben, wie die aktiven Vereine und die gemeinsamen Feste und Veranstaltungen zeigen.
Im Ledererhaus wird über acht Jahrhunderte bis heute Gerbergeschichte geschrieben
Bäuerliches Arbeitsleben
Im und ums Haus
An jedem der Nußdorfer Bauernhöfe waren mehrere Dienstboten, Mägde und Knechte beschäftigt. Alljährlich zu Lichtmess mussten sie vom Bauern „angehalten“, also zum Weiterverbleib im nächsten Jahr aufgefordert werden. Wurde ein Dienstbote an diesem Tag nicht angehalten, hatte er ohne weitere Aufforderung den Hof zu verlassen. Der Hausknecht oder „Hausl“ bei den Knechten und das „Hausmensch“ bei den Mägden teilten die Arbeit ein. Sie waren sozusagen die Vorarbeiter bzw. Vorarbeiterinnen. Im Haus war viel zu tun. Die Stallarbeit und die Hausarbeiten mussten verrichtet und das Vieh versorgt werden. Werkzeuge wurde großteils am Hof instand gehalten. Es wurde Vieh geschlachtet, das Fleisch aufgearbeitet, geselcht und konserviert, es gab weder Gefriertruhe noch Kühlschrank. Auf die Schlachtzeit freuten sich alle im Haus. Innereien, Blunzn (Blutwurst) und andere wenig haltbare Fleischteile wurden zu frischen, ausgiebigen, köstlichen Mahlzeiten verkocht.
Die Milch wurde mit der „Milchmaschine“ in Magermilch und Rahm geschleudert, zu Butter verarbeitet und die Magermilch an die Kälber verfüttert. Jeder Bauernhof hatte einige Milchkundschaften aus der Nachbarschaft, die täglich abends mit der „Milchpitschn“ die Milch holten. Die Hühnereier wurden in eine Kalkbrühe eingelegt um die schwachen Legezeiten zu überbrücken.
Auch das Brot wurde auf den Höfen gebacken. Obst und andere Früchte eingeweckt, zu Most gepresst oder zu Schnaps gebrannt. Kraut wurde gehobelt und zu Sauerkraut eingemacht. Aus den Bauerngärten kamen nicht nur die verschiedensten Gemüse und Gewürze, sondern nicht selten auch Heilkräuter und die schönsten Blumen.
Neben der Land- und Forstwirtschaft mussten die Bauern noch die Molkerei, Metzgerei, Bäckerei, Obstbau, Gartenbau, Destillerie, Instandhaltung aller möglichen technischen Hilfsmittel und die Tierhaltung oft bis zum Tierarzt beherrschen. Dazu musste ein Bauer auch noch ein ausgezeichneter Kaufmann und Menschenkenner sein, sich rechtlich gut auskennen und alle seine Grundstücksgrenzen genau im Auge behalten. Um einen Bauernhof erfolgreich zu bewirtschaften, war ein enorm umfangreiches und vielschichtiges Fachwissen erforderlich. Ein komplexer, biologischer Mikrokosmos, der sich überwiegend selbst erhalten konnte. In mancher Hinsicht vielleicht ein Vorbild für die Zukunft.
Die Niedermoarleute Georg und Johanna Hemetsberger mit einem Sommergast auf der allseits geliebten Hausbank
Auf den Wiesen
Ein üblicher Bauernhof in Nußdorf hatte etwa 20 Stück Rindvieh und 10 Schweine zu versorgen, die von Fühjahr bis Herbst mit Gras und im Winter mit Heu gefüttert wurden. Um das Heu im Frühsommer und das Grummet (Groamat) im Spätsommer als Wintervorrat auf den Heuboden zu bringen war viel Arbeit erforderlich.
Auf den Feldern
Bei der Getreideernte, dem Droadmahn, war die Arbeit meist so verteilt, dass die Männer mit der Sense das Korn mähten, die Frauen banden die Garben zusammen und die Kinder mussten beim Kornmandl aufstellen die Garben aufrecht halten. Nach einigen Wochen und schönem Wetter wurden die Getreidegarben heim auf den Troadboden gebracht, wo sie bis zum Dreschen lagerten. Auf die leeren Felder wurde Jauche (geadelt) und Mist (mistgfiad) gebracht, der Mist ausgebreitet (mistbroat), gepflügt (umgfahrn) und geeggt (brott). Im nächsten Frühjahr war wieder Zeit zum sähen. Neben Weizen, Roggen (Korn), Hafer, Gerste wurden auch Kartoffen (Erdäpfel), Kraut und Futterrüben (Runkeln) angebaut. Für die Schulkinder rochen die umgefahrenen Felder nach Schulanfang.
Dreschen
Die Druschtage im Herbst waren eine Herausforderung für jeden Hof. Das Dreschen war nicht nur eine sehr staubige, sondern auch eine lustige Arbeit, bei der alle im Dorf zusammen halfen. Die jungen Mädchen waren stets Ziel von Späßen der Burschen. Alle Leute wurden verköstigt und am Abend wurde in der Stube musiziert, getanzt und gespielt. Der „Maschintanz“ wurde zur Tradition.
Wald- und Holzarbeit
Der Wald war die Sparkasse der Bauern. In der Zeit des Wiederaufbaues nach dem 2. Weltkrieg war Holz sehr gefragt und erzielte in den sogenannten Wirtschaftswunderjahren gute Preise. Das erleichterte den Bauern die teuren Anschaffungen für landwirtschaftliche Maschinen und touristische Einrichtungen zu finanzieren. Die Wald- und Holzarbeit und das Holzfuhrwerk waren jedoch besonders bei den nicht seltenen Windwurfereignissen sehr gefahrvoll. Die vielen Marterl in den Nußdorfer Wäldern geben Zeugnis davon.
Holzfuhrwerk mit Pferdezug 1937
Holzfuhrwerk 1938
Der Hörnerschlitten diente 1949 zum Abtransport von Brennholzscheitern und Schleifholz für die Papierfabriken über die steilen Hohlwege zum Attersee
Die Lohrinde war 1949 noch ein wichtiger Rohstoff für die Lederherstellung und wurde in großen Mengen aus dem Wald gebracht
Arbeitsleben der Handwerker
Neben den Bauernhöfen war das Handwerk, das oft gemeinsam mit kleinen Bauernsacherln betrieben wurde, ein wesentlicher Teil der Dorfgemeinschaft. Hier wurde hergestellt, was die Leute zum Leben brauchten. Die Müller, Bäcker, Schuster, Schneider, Tischler, Bau- und Zimmerleute, Lederer, Schmiede, Wagner, die Säger, Köhler, Schindelmacher und andere. Dazu gehörten auch die Kreissler im Ort, die verkauften, was im Dorf selbst nicht hergestellt wurde. Im Tagebuch des Michl Wiesinger 1830 - 1895 wird neben dem bäuerlichen auch das handwerkliche Leben in Nußdorf sehr anschaulich beschrieben.
Die Gerberarbeit, hier 1930, wird am selben Standort in Nußdorf bereits acht Jahrhunderte lang bis heute betrieben
1956 war der Niedergang der Schusterwerkstätten bereits erkennbar. In Seewalchen entstand die Schuhfabrik Kastinger und in Attersee die Schuhfabrik Oswald mit mehreren hundert Beschäftigten
-1920- die Niedermayrsäge lieferte gesägtes Holz für den regionalen Verbrauch und ins Ausland. Bei späteren Grabungsarbeiten wurden Reste einer Köhlerei gefunden.
Brauchtum
Das Brauchtum hatte auch in Nußdorf viele Erscheinungsformen von denen im Atterwiki mit eigenen Artikeln eingegangen wird, wie Bräuche beim Hausbau, Religiöse Feste und Brauchtum, Hochzeitsbräuche im Attergau.
Die nachstehenden Fotografien zeigen das Maibaumsetzen alljährlich am Vorabend des 1. Mai und das Rafenstehlen anlässlich des Dachstuhlsetzens beim Hausbau. Um den Dachstuhl fertig machen zu können, brauchte der Bauherr auch den letzten Sparren (Rafen). Er wurde ihm meist von den Nachbarn gestohlen und ins nächste Wirtshaus gebracht, wo ihn der Bauherr gegen „Trinkbares“ auslösen musste.
Öffentliche Bauprojekte
In der Gemeinde Nußdorf wurden einige Bauvorhaben mit Hilfe einheimischer Arbeitskräfte verwirklicht, von denen Fotografien erhalten geblieben sind. Der Ausbau des Nesselbaches bzw. Nußdorfer Baches 1927, der durch den Ort fließt und häufige Überschwemmungen verursachte. Der Bau der Reichsautobahn, die ursprünglich über die Westseite des Attersees geplant war. Und der Bau der öffentlichen Wasserversorgung.
Die Post - das Tor zur Welt
Das Postamt in Nußdorf wurde 1894 eröffnet und 2010 geschlossen. In den 116 Jahren seines Bestehens haben sich fundamentale Veränderungen vollzogen. War zu Beginn das Postamt gleichsam das informative Tor zur Welt, wurde sie von den Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung im 21. Jahrhundert vom Markt verdrängt.
Transport – Verkehr – Motorisierung
Wenige Errungenschaften haben das Leben der Menschen mehr verändert als die Motorisierung. Mit der Entwicklung vom Pferdefuhrwerk, zum Schiff, Motorrad, Automobil, Eisenbahn, bis zum Flugzeug wurde der erreichbare Horizont immer weiter. Nußdorfer kamen in die Welt hinaus, die Welt kam nach Nußdorf. Fremde Länder und Menschen wurden vertrauter.
Quellen
- Walter Großpointner, Nußdorf - Heimatgeschichtliche Sammlung