Tostmann Trachten
Die Firma Tostmann Trachten, die seit Beginn ihrer Tätigkeit in Seewalchen beheimatet ist, gehört zu den renommiertesten Trachtenerzeugern in Österreich.
Geschichte
Im Jahr 1949 begann Marlen Tostmann (1915-2017) mit einem Handwebstuhl und einer Nähmaschine in der Christvilla und im Schreinerhaus an der Promenade ihre ersten Dirndln zu schneidern. Mit ihrem ausgeprägten Sinn für Farben und Formen nähte sie nach alten Vorlagen und eigenen Entwürfen, webte Stoffe und stellte Trachten her.
Am Attersee lernte Marlen auch ihren Mann Jochen kennen. Er stammte aus Hamburg und die neue Zellwollefabrik hatte ihn nach Lenzing und der Segelsport nach Seewalchen verschlagen. Nach der Gründung der Trachtenstube kümmerte sich Jochen um die geschäftlichen und finanziellen Belange.
Die Nachfrage stieg, das Geschäft lief gut an und der Platz im Schreinerhaus wurde bald zu eng.
1951 erwarb die Familie Tostmann das „Reiterhaus“ in Litzlberg. Es diente nun als Wohnung, Werkstatt und auch das Geschäft „Trachtenstube Marlen Tostmann“ war hier untergebracht. Der Betrieb hatte Ende 1951 bereits 10 Mitarbeiterinnen.
Nun folgte ein stetiger Anstieg, sowohl was die Produktion als auch den Verkauf und Export betraf. 1953 wurde in Vöcklabruck ein zweites Detailgeschäft eröffnet, 1957 folgte ein „Salon“ im ersten Bezirk in Wien, 1967 wurde das Geschäft in der Schottengasse eröffnet.
Ab 1960 arbeitete die jüngere Tochter Kathrin im Betrieb in Seewalchen. 1967, nach Abschluss ihres Volkskundestudiums stieg Gexi Tostmann im Wiener Geschäft ein.
Eine Zeitlang gab es sogar zwei Firmen: „Tostmann Trachten“ in Seewalchen und „Trachten Tostmann“ in Wien gingen getrennte Wege: In Wien war das Detailgeschäft für Tracht, Trachtenmode und Volkskunst. In Seewalchen wurden Großhandel, Konfektion und Export aufgebaut.
Tostmann Trachten mitten in Seewalchen
Im Jahr 1968 wurde das alte Gemeindehaus mitten in Seewalchen, in der Hauptstraße 1, erworben und ausgebaut.
Dieses Haus hat eine bewegte Geschichte. Im 19. Jh. führte die Familie Stiegler eine Landwirtschaft, aber 1901 musste Stiegler seinen Hof schließen. Die Gemeinde ersteigerte Hof, Grund und Wald. Das Haus beherbergte dann über 60 Jahre das Gemeindeamt, später waren dort auch die Post und die Raiffeisenkasse untergebracht, zweitweise gab es auch Betriebe und Armenwohnungen im Gebäude. Schließlich hatte in diesem Haus noch die Autobahn-Gendarmerie ihre erste Dienststelle. Danach richtete die Firma Tostmann dort ihr Detailgeschäft und die Werkstätten ein.
Nach dem Tod von Jochen Tostmann 1980 übernahm die Tochter Kathrin den Betrieb. Sie war Absolventin der Modeschule Michaelbeuern in Wien, zog sich aber nach ihrem Rechtsstudium aus der Geschäftsführung zurück. Ab 1983 führte Gexi Tostmann das Unternehmen in Oberösterreich, 1989 wurden die beiden Tostmann-Betriebe wieder vereinigt.
Die Expansion der Firma war ungebrochen. In den 1980er Jahren waren um die 400 Leute in Seewalchen und ca. 60 in Wien beschäftigt. Nun stand die Firmenleitung vor der Frage, ob Tostmann ein großer, vielleicht internationaler Konzern werden soll oder ob der Betrieb bodenständig bei der gewerblichen Herstellung bleiben soll.
Schließlich setzte sich die Philosophie von Gexi Tostmann durch.
Philosophie
Seit jeher ist die Firma Tostmann bemüht qualitativ hochwertige Produkte herzustellen. Dabei ist es für die Verantwortlichen wichtig, dass alles - soweit möglich - aus Österreich kommt und auch in Österreich (d. h. in Seewalchen) hergestellt wird. Es kommt für Trachten Tostmann nicht in Frage, wo anders zu produzieren.
Ein entscheidender Punkt ist die Wahrung der Tradition. Darunter versteht Gexi Tostmann nicht ein „Konservieren“, also nur beim Alten zu bleiben und nur an herkömmlichen Prägungen festzuhalten, sondern das Weiterführen des Bestehenden in die heutige Zeit.
Gexi Tostmann
Gexi (eigentlich Gesine) Tostmann studierte Volkskunde und Geschichte und beendete ihr Studium 1967 mit der Dissertation über die Wechselwirkung von Tracht und Mode in Österreich und die Traditionseinflüsse in der Kleidung der Gegenwart. Danach trat sie in die elterliche Firma ein, die sie ab 1968 als geschäftsführende Gesellschafterin leitete. Im Jahr 1983 übernahm sie auch das Geschäft in Seewalchen.
Das Haus Hauptstraße 1 wurde um ein Nachbargrundstück erweitert. Es sollte Erzeugung, Verwaltung und Detailgeschäft unter einem Dach bleiben.
„Ich habe für Zahlen wenig übrig und fürs Schneidern zwei linke Hände“, meinte Gexi Tostmann einmal scherzhaft in einem Zeitungsinterview. Umso mehr setzt sie ihre Fähigkeiten als Managerin für die Tracht im Allgemeinen und für Tostmann Trachten im Besonderen ein.
Gexi Tostmann ist aber nicht nur Unternehmerin. Ihr vielfältiges Engagement im politischen, kulturellen und im gesellschaftlichen Bereich bestimmt ihr Leben.
Gemeinsam mit ihrer Tochter Anna initiierte sie den Emilie-Flöge-Preis und den Konrad-Mautner-Preis, die seit 2006 alle zwei Jahre an sogenannte „Botschafter der Tracht“ verliehen werden. Sie engagierte sich aktiv in der frühen Friedens- und Anti-Atombewegung, gegen Zwentendorf und Wackersdorf, für die Hainburger Au und war in zahlreichen Bürgerinitiativen aktiv.
Sie schrieb mehrere Bücher und ist seit dem Jahr 2000 im Vorstand der Volkskultur Niederösterreich tätig und betreut die Trachtensammlung des Niederösterreichischen Heimatwerkes.
1980 gründete sie gemeinsam mit Freunden den Kulturverein Mölkerstiege (Schwerpunkt Volkskunde und Ökologie). In den Kellergewölben des Wiener Geschäftes veranstaltete sie zahlreiche Ausstellungen.
Mölkerstiege ist auch der Name der vierteljährlich erscheinenden Hauszeitung. Dieses Blatt informiert regelmäßig über kulturelle Themen, Veranstaltungen sowie Land und Leute.
Werke
- Gexi Tostmann: Das Dirndl, Alpenländische Tradition und Mode. Verlag Christian Brandstätter, Wien/München 1998, ISBN 3-85447-781-3.
- F. Lipp, E. Längle, G. Tostmann, F. Hubmann: Tracht in Österreich. Geschichte und Gegenwart. Verlag Christian Brandstätter, Wien 2004, ISBN 3-85498-347-6.
- G. Tostmann, L. Wesely: Fleckerl-Zauber, Pachtwork-Quilts aus Trachtenstoffen. Verlag Christian Brandstätter, Wien 2003, ISBN 3-85498-313-1.
- G. Tostmann, T. Weissengruber, M. Tostmann, F. Lipp: Alte Hüte. Kopfbedeckungen von anno dazumal. Kopftücher, Hauben & Hüte. Verlag Christian Brandstätter, Wien/München 2009, ISBN 978-3-85033-334-4.
Auszeichnungen
- Salzburger Preis (Österreichische Textilzeitung) 1997
- Goldenes Verdienstzeichen des Landes Oberösterreich 1999
- Vöckla-Award (für ihr Lebenswerk) 2007
- Silbernes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich 2008
- Niederösterreichischer Kultur- und Wissenschaftspreis 2008
- Kulturmedaille des Landes Oberösterreich 2012
- Großes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Niederösterreich 2012
- Ehrenbrosche in Gold der Marktgemeinde Seewalchen a. A. 2014
Weiter ein Familienbetrieb
1992 trat Tochter Anna nach Abschluss ihres Jusstudiums in das Unternehmen ein, wurde 1998 Gesellschafterin und 2004 Geschäftsführerin.
Zuletzt ist auch Annas Mann Florian Grosser, der ein Wirtschaftstudium absolviert hat, in die Firma eingestiegen. Anna und Florian schließen ebenfalls eine Verlagerung der Produktion ins Ausland strikt aus und haben auch sonst keine Ambitionen, alles Mögliche umzukrempeln. Die Tradition dieses renommierten Familienbetriebes besteht weiter und Gexi freut sich über die gelungene Geschäftsübertragung und den Fortbestand ihrer Firma. Und natürlich über Auszeichungen. So hat Tostmann Trachten 2011 durch die Wirtschaftskammer die Auszeichnung zum "Unternehmen des Jahres 2011" in der Sparte Bekleidungsindustrie erhalten.
Derzeit hat der Betrieb rund 100 Mitarbeiter, davon 25 in Wien.
Neid
Wenn ein Betrieb erfolgreich ist, dauert es offenbar nicht lange, bis die Neider auf den Plan treten. So auch 1973.
Marlen Tostmann hatte die Kunstgewerbeschule absolviert, aber keine Schneider-Meisterprüfung. Obwohl sie sämtliche Dirndln selbst entworfen und alle Schnitte gemacht hatte, wurde nach einer anonymen Anzeige festgestellt, dass der gewerbliche Befähigungsnachweis fehlte. Schließlich musste Marlen vor eine Kommission treten und dort in drei Tagen selber ein Dirndl nähen. Danach erhielt sie den Dispens, die Firma weiterführen zu dürfen, die Lehrlingsausbildung blieb ihr auch fürs erste versagt. Dazu war ein neuer Anlauf notwendig, um die bürokratischen Hindernisse zu überwinden.
Auch Gexi kam mit dem Verwaltungsapparat in Berührung. Sie sah sich durch das Ladenschlussgesetz im Grundrecht auf freie Berufsausübung verletzt, weil sie am Samstagnachmittag verkaufen wollte und dabei Schwierigkeiten bekam. Das Gesetz wurde zwar novelliert, die ersatzlose Streichung des Gesetzes konnte sie aber nicht erreichen.
Seewalchen
Die Familie Tostmann ist seit Jahrzehnten auf das Engste mit Seewalchen verbunden. „Die Beziehung zum Attersee und Seewalchen“, betont Gexi Tostmann, „war und ist für mich ganz wichtig.“ Hier ist nicht nur das Stammhaus des Betriebes. Gelegentlich finden im Haus Tostmann Lesungen, Vorträge, Modeschauen oder andere Veranstaltungen statt. Schon zur Legende geworden ist der alljährliche Auftritt der Tanzgeiger.
2011 erwarb die Familie das Büchsenmeistergütl (Hauptstraße 4) im Zentrum von Seewalchen, dessen neue Nutzung sicherlich Impulse für den Ort bringen wird: Nach einem aufwändigen Umbau beherbergt das Haus unter dem Namen „Tostmanns Bandlkramerey“ ausgesuchte Stücke der textilen Sammlung Familie Tostmann, weiters ein Café, eine Bibliothek und ein Hochzeitszimmer für standesamtliche Trauungen
Bildergalerie
Lage
Quellen und Weblinks
- Gexi Tostmann
- Tostmann Trachten
- Gexi Tostmann in der Wikipedia
- Firmenchroniken 1989 und 2004
(zusammengestellt von Johann Rauchenzauner) (2014)